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Karl Schumacher aus Hecken
Karl Schumacher aus Hecken

Hellenthal-Hecken. Karl hat sich schick gemacht. Schließlich ist Sonntag. Sonntags tauscht Karl Alltagskleidung gegen Sacko, Weste, Bundfaltenhose und Krawatte, fährt zum Gottesdienst nach Kreuzberg, dann zum Frühschoppen und Mittagessen ins Gasthaus Krumpen nach Schmidtheim. Montags, nein, neuerdings donnerstags, geht’s zur Gaststätte Schneider nach Winten, zu Christa. Bei schönem Wetter sitzt Karl meistens auf der Bank vor seinem Haus. Franz Josef und Willi, die beiden Ältesten im Dorf, Johann mit seinem Schäferhund und Manni von gegenüber besuchen ihn dort regelmäßig. Manchmal zieht Karl selbst mit dem Rollator los für ein Verzällchen. Dann begleiten ihn zwei seiner drei Kater, die alle Prinz heißen und die er Prinzchen nennt, ein Stück des Weges. „Die jungen Leute aber, die rauschen abends, wenn sie von der Arbeit kommen, einfach nur in ihren Autos an mir vorbei. Dabei wäre bestimmt mal fünf Minuten Zeit zum Reden“, sagt Karl. „Jeder wird doch mal krank oder alt und ist dann froh, nicht alleine zu sein.“

Karl Schumacher aus Hecken ist 81 Jahre alt. Er wohnt schon immer dort. Sein Elternhaus wurde Anfang der 1960er Jahre durch ein neues ersetzt. „Im Winter bei Sturm hat das alte Fachwerkhaus gewackelt“, erinnert er sich. Die Mutter zog ihn und seine beiden Brüder Leo und Michel alleine groß; der Vater war im letzten Kriegsjahr gefallen. Da war Karl sieben Jahre alt. Die Großmutter lebte mit im Haushalt. Das Geld war knapp, aber hungern musste niemand. Mit Kühen, Ochsen, Hühnern, Schweinen, mal kam auch noch ein Schaf dazu, und großem Garten war die Familie Selbstversorger. „Die Städter waren ärmer dran“, erzählt Karl. Sie kamen an die Türen, baten um ein Stück Brot oder ein paar Kartoffeln. „Ein bisschen hatte dann jeder übrig.“

Am Ortsrand von Hecken
Am Ortsrand von Hecken

Im Wald

Karls Schuljahre in der Nachkriegszeit bei Lehrer Keller in der Heckener Volksschule waren schwierig. 70 bis 80 Kinder in einem Raum ohne genügend Stühle und Tische, mangelndes Lehrmaterial, Holz- und Kartoffelkäfersammeln in der Unterrichtszeit und dann auch noch ein fünfmonatiger Aufenthalt im Krankenhaus in Köln. Gute Lernbedingungen sehen anders aus. Mit 18 Jahren wurde Karl Waldarbeiter in Schmidtheim. Und blieb es bis zur Rente. 42 Jahre lang. „Ich habe immer gerne gearbeitet, bin jeden Morgen gerne in den Wald gegangen“, blickt er zurück. Wenn ihm aber etwas gegen den Strich geht, setzt Dickkopf Karl Zeichen. Zweimal kündigte er bei Förster Lenzen und Waldbesitzer Graf Beissel. Die Auszeiten waren schnell vorüber. Die Arbeit bei Mannesmann in Hellenthal fand Karl zu langweilig, bei Kneipenwirt Bannert in Benenberg war der Inhalt der wöchentlich ausgehändigten Lohntüte manches Mal schneller wieder ausgegeben, als Karl das lieb war.

Im Urlaub war Karl nie. Freie Zeit nutzte er auf seine Art: Holz machen für andere und in seinem eigenen, zwei Hektar großen Wald. Die Bäume dort am Giesenbroich hat er vor 20 und 30 Jahren selbst angepflanzt und mehrmals mit der Hand durchgeforstet. „Maschinen machen zu viel kaputt“, sagt Karl. Er sieht sich um. „Es wäre jetzt wieder an der Zeit“, sagt er nachdenklich. Auch als Rentner ging Karl weiter in den Wald: pflanzen, durchforsten, Bäume abmachen. Fichten sind ihm am liebsten: „Daran habe ich das meiste verdient.“

Eifeler Original aus Hecken: Karl Schumacher
Eifeler Original aus Hecken: Karl Schumacher

Im Dorf

Karl hat nie geheiratet. „Da war ich wohl zu schnuppig: Die nicht so Schönen wollte ich nicht, bei den Schönen waren andere immer schneller“, sagt er schmunzelnd. Oder war er zu beschäftigt? Musik- und Sportverein, Feuerwehr, Karnevalsverein und Elferrat, Pfarrgemeinderat und der 1. FC Köln – das brauchte ja alles seine Zeit. Sein Engagement fürs Dorfleben war immer groß. Wenn an einem Dorfkreuz Blumen fehlen, ersetzt Karl sie. Er mäht und kehrt, pflegt und schneidet Hecken an öffentlichen Orten und an der Kirche. 55 Mal nahm er an der gemeinsamen Prozession von Kreuzberg nach Barweiler teil, 25 Mal als Brudermeister. Auch heute noch fühlt er sich für den Weihnachtsbaum an der alten Schule verantwortlich.

Zum Problem wurde die Ehelosigkeit nur in einem Fall: Karl wollte Karnevalsprinz werden. Der erste im Ländchen. Aber ohne Prinzessin an seiner Seite? Unmöglich. Auf der Fahrt zur Küppers Kölsch Brauereibesichtigung gab Christa von der Gaststätte Schneider vor der kompletten Busladung dann aber das Ja-Wort für eine Session. „Dafür bin ich sehr dankbar, das war ein schönes Jahr. Die Leute sprechen heute noch darüber“, schwärmt Karl. Und für einen Moment ist er wieder mit Christa auf der spannenden Suche nach passender Prinzenpaar-Kleidung und im Sitzungssaal, der vor bester Laune brodelt.

Karl Schumacher: Ein erfülltes Leben in Hecken
Karl Schumacher: Ein erfülltes Leben in Hecken

Würde er aus heutiger Sicht etwas in seinem Leben anders machen? „Nein, ich war immer zufrieden“, sagt er so bestimmt, dass kein Zweifel aufkommt. „Neid kenne ich nicht. Wenn der Nachbar einen neuen Schrank kaufte, brauchte ich noch lange keinen. Wozu, wenn der alte doch nicht kaputt war? Was dagegen heute so alles auf dem Sperrmüll landet…“ Karl hat sich die Bescheidenheit und das positive Grundgefühl bis heute bewahrt. „Die meisten Menschen machen sich selbst bloß durch übertriebene Forderungen an das Schicksal unzufrieden.“ Dieser Satz des Gelehrten, Schriftstellers und Staatsmannes Wilhelm von Humboldt könnte auch von Waldarbeiter Karl Schumacher aus Hecken stammen. ●

Fotos: Ralph Sondermann
Text: Claudia Träger

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