Gänsehaut-Feeling in der alten Turnhalle in Elsenborn. Dabei trainieren die Luftartisten Doreen, Aurelie und Daniel nur. Aurelie hat am nächsten Tag einen Auftritt vor Publikum und übt noch einmal die Choreografie zu Musik. Dem Betrachter bleibt freilich auch bei der Probe die Spucke weg. Nur an einem seidenen Tuch, mal mehr, mal weniger hineingewickelt, klettert Aurelie barfuß in schwindelnde Höhe und turnt in anmutigen Bewegungen hoch über der – ziemlich dünnen – Sicherheitsmatte. Vor Spannung laufen Schauer den Rücken herunter. „Wenn ich Aurelie zusehe, habe ich manchmal Tränen in den Augen, so ergriffen bin ich“, sagt Daniel Offermann. Von ihm hat die 20-Jährige nämlich die Luftakrobatik, das faszinierende Zusammenspiel aus Eleganz und Kraft, gelernt.
Akrobatik-Spätstarter
Die Luftartistik-Historie des Elsenborners ist kaum zu glauben. Erst im Alter von 41 Jahren begann Daniel, inspiriert von der Showinszenierung des berühmten Zirkus Flic Flac, mit der Luftakrobatik. Beim Zirkus- und Artistikzentrum Köln belegte er unter der Leitung von Ariel Milanesio spontan einen Schnupperkurs. Fünf Jahre lang fuhr er schließlich jeden Montag von Elsenborn nach Köln und machte die Luftakrobatik sowohl als Artist als auch als Lehrer zu seinem zweiten Beruf. Zugegeben, Daniels Voraussetzungen für Akrobatik waren nicht die schlechtesten. Er hatte als Kind im Elsenborner TV und später als Erwachsener Geräteturnen im Gym-Club Malmedy trainiert, eine Disziplin, bei der er sich so einiges an Körperbeherrschung erarbeitete. Erarbeitete? Das stimmt nicht ganz aus seiner Sicht: „Ich kann gar nicht anders, als mich körperlich auszuprobieren. Ich laufe einfach mal im Handstand, und nichts, das wie ein Reck aussieht, ist vor mir sicher. Wenn mich etwas begeistert, mache ich das.“ Aber Turnen war eben nicht genug. So perfekt es auch ausgeübt wird, so viel Ästhetik, Kraft und Schönheit darin steckt, für Daniel ist Artistik noch mehr. „Sie hat Seele. Ich zeige etwas von mir selbst, das die Zuschauer berührt“, beschreibt Daniel seine Faszination an diesem sinnlichen Tanz in der Luft.
Entführt in eine andere Welt
Diese Frage muss kommen: Hat er keine Angst vor einem Unfall? „Wenn die Halle, in der ich eine Vorführung gebe, besonders hoch und weit ist, dann verspüre ich schon ein etwas unangenehmes Gefühl. Auch eine Outdoor-Veranstaltung, bei der noch Wind als unberechenbarer Faktor hinzukommt, macht die Sache nicht einfacher. Aber Angst? Es ist eher die Aufregung, vor Publikum wirklich die beste Performance abzuliefern. Ein Gefühl von Glück und Erhabenheit überwiegt bei Weitem“, sagt Daniel. Auch als Kabarettist und Humorist ist er daran gewöhnt, das Publikum vorübergehend in eine andere Welt zu entführen. Da kann man wirklich froh sein, dass er seine erste sportliche Leidenschaft zugunsten des Turnens aufgab: Zehn Jahre lang fuhr Daniel Radrennen. Von drahtiger Statur und federleicht war er auf Rennen in bergigem Gelände spezialisiert. Eigentlich wollte er Profi werden.
Nur nichts anmerken lassen
Zurück in die Turnhalle des TV Elsenborn, der gerade sein 50-jähriges Bestehen feiert und der offenen Luftakrobatengruppe eine Heimat bietet. Die 16-jährige Doreen führt zum Abschluss der Trainingseinheit den atemberaubenden „Mandy-Abfaller“ vor. In schnellen Drehungen wickelt sie sich, von der Schwerkraft getrieben, immer weiter aus dem Tuch heraus, rast auf den Boden zu und landet gekonnt abgefedert etwa einen Meter über der Matte. „Besonders anstrengend ist, es gar nicht anstrengend aussehen zu lassen“, sagt sie außer Atem. Die Choreografien sind wahre Kraftakte. Fünf Minuten an den Tüchern oder den Strapaten – mehr geht auch bei Daniel Offermann nicht. Bei den meisten anderen wäre allerdings schon beim Spagat zum Aufwärmen Schluss gewesen. ●
Luftartistik – Auftritte und Unterricht:
Daniel Offermann
+32 80 44 89 10
mobil: +32 474 01 41 42
daniel.offermann@skynet.be
Fotos: Ralph Sondermann
Text: Claudia Träger
