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Manfred Schreiber: Die alte Schule in Imgenbroich
Manfred Schreiber: Die alte Schule in Imgenbroich

Anfang September hat die Schule wieder angefangen, viele I-Dötzchen sind eingeschult worden. Ein großer Tag für sie und ihre Eltern. Es gab wahrscheinlich eine prall gefüllte Schultüte, dazu ein Mäppchen mit Stiften und Hefte, in denen die ersten Worte geschrieben und Matheaufgaben gelöst werden wollen. Die Lehrer verteilten in der Klasse die neuen – oder auch gebrauchte – Schulbücher. Vor 70 Jahren sah das Ganze ein wenig anders aus, wie Manfred Schreiber aus Imgenbroich zu berichten weiß.

Manfred Schreiber und seine KlassenkameradInnen wurden am 14. April 1947 eingeschult, nicht einmal zwei Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkriegs. Es waren insgesamt 29 Kriegskinder, für die ein neuer Lebensabschnitt begann. Die Schule vom kleinen Manfred befand sich dort, wo heute die Tankstelle Mingers steht. Die Zustände, unter denen die Erstklässler die Schulbank drücken mussten, waren nach heutigem Ermessen katastrophal. So hatte das alte Toilettenhaus beispielsweise weder Wasserspülung noch Dach oder Türen. Hefte und Kugelschreiber gab es nicht. Auch keine Schulbücher, da die alten aus der Nazi-Zeit verboten waren. Es war auch nicht für jeden Schüler in den überfüllten Klassen eine Sitzgelegenheit vorhanden. „Wenn man Glück hatte, konnten wir auf dem Schoß eines älteren Mädchens sitzen, um nicht den ganzen Unterricht im Stehen verfolgen zu müssen“, erinnert sich Manfred Schreiber. Und so musste improvisiert werden. Da jeder Schüler eine Schiefertafel mit Griffel besaß, wurden die Buchstaben auf diese geschrieben. Manche besaßen auch Tafelläppchen, die sie dann zum Säubern der Tafeln untereinander tauschten.

Manfred Schreiber blättert in alten Erinnerungen
Manfred Schreiber blättert in alten Erinnerungen

Auch wenn die Schüler nach der Grundschule einen hervorragenden Notendurchschnitt hatten, war vielen der Weg aufs Gymnasium verwehrt. „Das war nur für die besser gestellten Familien möglich. Schulgeld, teure Bücher, bessere Kleidung und die Buskosten – das konnten sich die meisten nicht leisten“, so Manfred Schreiber. Die Zeiten waren hart in den Nachkriegsjahren. Die Kinder bekamen ihren Anteil der CARE-Pakete, Nahrungsmittelpakete im Rahmen von amerikanischen Hilfsprogrammen für Europa, mit in die Schule, die sie dort teilen sollten. Die Mutter des Mädchens, das ihr Paket mit Manfred teilen sollte, hatte keine Idee, wie sie den spärlichen Inhalt auch noch auf zwei Heranwachsende aufteilen sollte. Minirationen waren das Ergebnis.

Trotz dieser Widrigkeiten und Umstände ist aus allen, die im Jahr 1947 in Imgenbroich eingeschult wurden, „etwas geworden“, beispielsweise Poststellenleiter, Lehrer, Schreiner und Heizungsmonteur. Vielleicht hat gerade die Schulzeit die Schüler von damals so zusammengeschweißt, dass sie vor kurzem ihr elftes Wiedersehen gefeiert und in den Erinnerungen von damals geschwelgt haben. ●

Text: Peter Offermann
Fotos: Peter Offermann, privat

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